Meine Memoiren Teil 1

Ich finde, auch mit noch nicht Vierzig darf man das…

Februar 1993, ich kann mich nur bruchstückhaft an diese Zeit erinnern, obwohl ich fast 12 war. Ich weiß, es war kalt, aber das ist es immer im Februar, in Russland! Wir sind auf dem Weg nach Hause, es ist dunkel, meine Eltern sprechen ganz leise, und ich weiß, es geht um was wichtiges, es soll unser Leben grundlegend verändern. Die 90er waren sehr unruhige und gefährliche Jahre in Russland. Alles war im Umbruch, niemand wusste, wo das alles hinführt.

Dass meine Mutter deutscher Abstammung ist, wusste ich nicht wirklich. Wir hatten Verwandte, die eine andere Sprache untereinander sprachen, die andere Bräuche hatten und andere Feste feierten. Ja! Das ist an mir nicht vorbeigegangen. Aber das gehörte zu unserem Leben dazu und ich habe es nie hinterfragt.

Wir lebten die meiste Zeit, an die ich mich erinnern kann, mit den russischen Großeltern Tür an Tür, oder zumindest im gleichen Ort. Die zahlreichen Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, alle waren sie immer präsent, ein fester Teil unseres täglichen Lebens. Alle sprachen viel, und alle sprachen russisch. Mein Vater ist Russe. Ab und zu kamen die Anderen. Mit uns sprachen auch die Anderen Russisch. Sie küssten uns bei der Begrüßung, sie rochen anders und ihre Sachen sahen irgendwie fremd aus. Wenn wir die Anderen besuchen fuhren, fühlte es sich wie ein Fest an. Ich fühlte mich dort besonders, besonders willkommen, besonders geliebt, besonders wertvoll. Dort gab es auch viele Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, aber meine Schwester und ich hatten eine Sonderstellung.

Meine russische Oma sprach immer sehr respektvoll von der anderen Oma. Sie empfand es als Ehre, sie bei sich zu Besuch zu haben. Es war eine sonderbare Kombination, denn sie sprachen keine gemeinsame Sprache, verstanden sich aber wohl auch so…Meine deutsche Oma starb, als ich sechs war, und da wir sie zu Lebzeiten auch nicht sehr oft besucht haben, habe ich kaum Erinnerung an sie, der Opa ist lange vor meiner Geburt gestorben. Unsere Mutter hat uns nie ihre Muttersprache beigebracht, sie erzähle kaum was aus ihrer Kindheit, ich habe also kaum deutsche Wurzeln schlagen können.

Meine Mutter ist in einem Deutschen Dorf mitten in Russland geboren und aufgewachsen. Ihre Vorfahren sind im 18. Jahrhundert nach Russland ausgewandert. Sie bekamen Land zum Bewirtschaften, eine Zusage, ihre Religion frei ausleben zu dürfen und wurden von der Wehrpflicht befreit. Um die zweihundert Jahre später haben sich Russlanddeutsche ihre Kultur weitestgehend bewahrt, Mischehen waren nicht üblich, viele alte Menschen sprachen kein Russisch.

Meine Mutter kam 1976 in ein russisches Dorf um den praktischen Teil ihrer Berufsausbildung zu absolvieren. Sie kam nicht freiwillig, in der UDSSR wurde man zugewiesen und hatte sich zu fügen. Naja, so kam man wenigstens auch mal rum! So war sie also als 19 Jährige weit weg vom gewohnten Umfeld, unter fremden Menschen und Bräuchen. Sie schlug sich wohl gut und fiel schnell ihrer späteren Schwiegermutter positiv auf. So kam es dann auch, dass sie meinen Vater kennenlernte. Die älteren Brüder meiner Mutter waren nicht begeistert, dass ihre jüngste Schwester einen Russen ehelichen wollte. Ihre Mutter gab jedoch ihren Segen, sie mochte meinen Vater auf Anhieb, trotz sprachlicher Barriere. So wurde 1977 eine neue Familie gegründet. Da sowohl mein Vater, als auch meine Mutter einen Arbeitsplatz im russischen Dorf meines Vaters hatten, war klar, dass die Frischvermählten dort bleiben.

Kurz bevor ich als Zweitgeborene 1981 auf die Welt kam, zogen meinen Vater Geld und Privilegien in die Taiga der UDSSR. Er meldete sich für den Aufbau der Baikal-Amur-Magistrale. Die Baikal-Amur-Magistrale ist eine Eisenbahnstrecke, die in der ostsibirischen Stadt Taischet von der Transsibirischen-Eisenbahn abzweigt und in der Stadt Sowetskaja Gawan am Pazifischen Ozean endet. Nach Vorarbeiten wurde 1974 mit dem Bau begonnen. 1984 konnten die beiden von Ost und West vorangetriebenen Streckenenden verbunden werden. Der durchgehende Betrieb wurde 1989 aufgenommen.

Meine Mutter folgte meinem Vater im Sommer 1981, mit einem dreijährigen Kleinkind, und einem drei Monate alten Baby beladen. Aufgrund der geografischen Lage waren die Winter dort lang und sehr kalt, die Natur atemberaubend…leider kann ich mich an nichts davon erinnern. Aus Erzählungen weiß ich aber, dass wir dort Bananen aßen und ich mir den Arm gebrochen habe. Wir lebten in Holzbaracken, die in Ein-Raum-Wohnungen aufgeteilt waren. Es gab keine Annehmlichkeiten, aber viele junge Familien, Träume und Hoffnungen!

Drei Jahre weitab von allen und allem haben meinen Eltern gereicht. Sie entschieden sich, zurück zu kehren, nicht ins Heimatdorf, aber doch in eine nahegelegene Stadt. Drei Jahre selbstlosen Einsatzes im kargen Winkel der Heimat brachten nicht nur ein deutlich höheres Gehalt, sondern auch die Möglichkeit außer Reihe ein Auto zu erwerben…Das war’s dann aber auch schon mit den Privilegien!

So erlebte ich mit drei Jahren bereits meinen zweiten tausende Kilometer weiten Umzug.

…Fortsetzung folgt

Genießt den Moment

Natalja

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