Meine Memoiren Teil 2

Warum eine Frau von nicht mal vierzig Jahren ihre Memoiren aufschreibt, wird vielleicht nach dem Lesen des Beitrags “Wäre ich, nicht ich, wäre ich dann meine Freundin“ verständlicher, wenn nicht, dann eben nicht…so bin ich halt!

Wir kamen also 1984 in der Heimatregion meiner Eltern, jedoch in einer neuen Industriestadt an und lebten uns langsam ein. Während meine Eltern ziemlich erfolgreich beruflich Fuß fassten, wertvolle Freundschaften knüpften und meine ältere Schwester glücklich durch den Alltag hüpfte, wurde ich krank. Auf dringlichen ärztlichen Rat packten meine Eltern nach zwei tollen Jahren in der Stadt wieder die Sachen und siedelten sich im Heimatdorf meines Vaters wieder an. Die Landluft, gesunde Ernährung und die Pflege meiner Großeltern sollten mich heilen. Es wurde keine einfache Zeit, soweit ich mich erinnere.

Mein Vater kam ständig mit den Dorfbewohnern in Konflikt. Er konnte sich weder mit ihrer Liebe zum Alkohol, noch mit dem fehlenden Interesse nach Veränderung und Fortschritt abfinden. Er wurde z.B. dafür belächelt, dass er für seine drei Mädels ein Bad IM Haus einrichtete, wo es doch die öffentliche Banja und das Holzklo im Garten gab. Meine Eltern waren auch sonst keine Landmenschen. Trotz ihrer Kindheit, die beide mitten auf dem Dorf verbracht haben, waren Hausschweine und Tomaten aus dem eigenen Anbau keine verlockende Aussicht! Auch meine Schwester wurde nicht glücklich. Zu sehr vermisste sie die Möglichkeiten einer Stadt. Sie war immer gerne unterwegs, nahm an außerschulischen Aktivitäten teil, hatte viele Freunde. In einem 500-Seelen Ort ist das alles nicht zu realisieren. Die Schulklassen bestanden aus 4-6 Schülern. Als Stadtkind hatte man es auf dem Dorf grundsätzlich schwierig, wenn dann auch noch dein Vater nicht die Tochter deiner Klassenlehrerin seinerzeit geehelicht hatte, sie aber in ihn verliebt gewesen ist, hast du einen denkbar schlechten Start. So erging es meiner Schwester.

Trotz vieler Steine, die meinen Eltern in den Weg gelegt wurden, Rückschlägen und der Angst um das kranke Kind, haben sie einiges erreicht! Doch so ein Dorf ist eben nichts für Menschen, die weder der Stahlarbeit, noch dem Beetgestalten was abgewinnen können.

In Russland war und ist es bis heute unüblich auf dem Land zu leben und keine Melkkühe zu haben und keinen eigenen Kartoffelacker zu bestellen. Der Alltag meiner Eltern sah also folgendermaßen aus: morgens um fünf Kuh melken, sie zum Weiden auf die Gemeinschaftsweide rausbringen, Schweine, Hühner, Kaninchen versorgen, Frühstück machen, die eine Tochter in die Schule schicken, die andere bei der Oma abliefern, und ernst dann gehts zur regulären Arbeit. Nach dem Arbeitstag alles in umgekehrter Reihenfolge erledigen, und im Sommer noch Garten bewirtschaften. Und Gartenarbeit war keine Meditationsübung. Die Ernte war lebenswichtig. Ohne diese wären wir nicht verhungert, aber man hätte die fehlenden Lebensmittel mit viel Aufwand und für teuer Geld beschaffen müssen.

Hinzu kam, dass auch ich regelmäßig stationär in der Klinik behandelt werden musste und diese 120 Kilometer entfernt war. Wenn ich nicht im Krankenhaus war, verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern. Meine Oma brachte mir bei, wie man Teig knetet, Vareniki macht und zu Gott betet. Ich wurde aber sonst sehr geschont und betüdelt!

Als es mir nach zwei Jahren Landluft zusehends besser ging und die wirtschaftliche Lage auf dem Land zu wünschen übrig lies, überlegten meine Eltern, es wieder woanders zu versuchen. Es gab bereits durch andere Geschwister eine vorgegebene Richtung, es sollte in den Verwaltungssitz der Region gehen. Außer den zwei Schwestern, die dort bereits Fuß gefasst hatten, sprach auch die Tatsache, dass ich in der dortigen Kinderklinik sehr oft behandelt wurde und somit meine Krankengeschichte bekannt war, für den Umzug in die Großstadt.

Die Entscheidung stand fest, konnte aber nicht so schnell umgesetzt werden. Die Haus- und Arbeitssuche nahm einige Zeit in Anspruch, sodass ich am 1. September 1988 in der Dorfschule eingeschult werden musste. Die späte Einschulung war dem Gesundheitszustand geschuldet. Vor der Einschulung habe ich aufgrund der vielen Freizeit und der älteren Schwester so einiges bereits gelernt. Meine Mitschüler kannte ich kaum. Zum einen, weil ich ziemlich isoliert gelebt habe, wegen des Ansteckungsrisikos, zum anderen aber, weil ich einfach so ein Mensch bin – ich fühle mich mit mir sehr wohl und brauchte noch nie viele Freunde. Unsere Familie war mir genug, dort hatte ich Freunde, dort wurde ich geliebt und akzeptiert, mir fehlte es an nichts!

Aber zurück zur Schule! Meine Mitschüler, es waren fünf oder sechs Kinder, ich kann mich noch nicht mal an alle erinnern, sie waren alle mindestens ein Jahr jünger, sie hatten Vorurteile meiner Wenigkeit gegenüber und sie waren langweilig! Nicht mal lesen konnten sie! Worüber sollte ich mich mit ihnen unterhalten? 🙂

Durch meine fast drei Jahre ältere Schwester hatte ich eher Kontakt zu ihren Freunden. Und da waren die Gesprächsthemen bereits anders, spannender! Da konnte ich doch nicht auf das Niveau der gestrigen Kindergartenkinder zurückfallen! Es machte mir also keinen Spaß, die Schulbank zu drücken! Ich mit Abstand die schlechteste Schülerin. Meine Eltern haben allerdings nie Druck gemacht. Warum eigentlich nicht? Sollte ich vielleicht fragen?!

Und wenn nur der Anflug einer Erkältung kam, durfte ich auch schon bei Oma bleiben! Ich glaube mich zu erinnern, dass ich das oft ausgenutzt habe. Umso erstaunlicher war es, dass mit dem Umzug und dem damit zusammenhängenden Schulwechsel meine Noten schlagartig besser wurden, und die Erkältungen seltener! Aber das erste Schuljahr musste ich mich erstmal durch die Dorfschule quälen, die Standpauken der Klassenlehrerin anhören, viel aus dem Fenster schauen und dort die Schönheit der Welt zu suchen.

Den Winter 1988/89 habe ich sehr kalt und sehr verschneit in Erinnerung behalten. Es gab oft Unterrichtsausfall, und es war immer so dunkel. Einmal, da hatte ich wohl besonders wenig Lust auf Schule, da habe ich sogar meinen Ranzen zu Hause vergessen und sein Fehlen erst bei der Ankunft in der Schule festgestellt. Also bin ich wieder zurückgelaufen und habe beschlossen, dass es sich ja eh nicht mehr lohnt in die Schule zu gehen und machte es mir lieber zu Hause gemütlich. Selbst da haben meine Eltern nicht geschimpft…ich vermute, ihnen war klar, dass die Schule mir zu dem Zeitpunkt nichts geben konnte, den Stoff der ersten Klasse hatte ich bereits vor der Schule gekannt. Als dann endlich der Sommer mit den dreimonatigen Ferien kam, war es eine Wohltat für mich. Ausschlafen, viel Zeit draußen verbringen und nichts tun…das fand ich schon damals toll!

Zum Ende der Schulferien war klar, wir bleiben nicht mehr lange im Dorf. Doch der erste September, das ist in ganz Rissland bis heute für alle Schüler der erste Schultag, kam früher! Ich musste also in die zweite Klasse, zu den unfreundlichen Mitschülern, der meckernden Lehrer und dem für mich sinnlosen Schulprogramm. Für mich stand fest, jetzt tue ich nichts mehr, ich verschwende keine Energie, sondern speichere sie für den Neustart…der dann tatsächlich Mitte September passierte…

…Fortsetzung folgt

Genießt den Moment

Natalja

Schreibe einen Kommentar