Meine Memoiren Teil 3

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare

 

 

Im September 1989 sind wir vom Land in die Großstadt gezogen.

So einfach, war es in Wirklichkeit natürlich nicht! Ich war zwar erst acht Jahre alt, und das meiste ist bestimmt an mir vorbei gegangen. Aber das, was ich mitbekam und mir im Nachhinein so zusammenreimen kann, glich es einer Mammutaufgabe. Es waren zwei Haushalte aufzulösen. Denn auch meine Großeltern machten sich auf in die Stadt, und planten dort ihren Lebensabend zu verbringen. Zu diesem Zweck wurde in der Stadt ein Haus mit zwei Doppelhaushälften erworben.

Wir zogen in einen Stadtteil, in dem überwiegend Einfamilienhäuser standen, die meisten hatten einen eigenen Garten, und hinter einem zwei Meter hohen Zaun glich es eher einem dörflichen Hof, samt Holzplumsklo, als einem Stadthaus.

Die beiden Häuser waren in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Hatten weder ein Bad, noch eine Toilette…Kanalisation, Heizung, fließend Wasser, das alles waren die ersten Projekte, die mein Vater gestartet hat. 

Wenn ich mir das heute vorstelle, mit Frau, zwei Kindern, Eltern, die nicht mehr die jüngsten sind, in einer fremden Stadt, im neuen Job…leicht war es für meinen Vater bestimmt nicht. Allerdings hatte er sehr viel Unterstützung! Dank des tollen Familienzusammenhalts kam regelmäßig Hilfe. So wurde nach und nach von innen und außen Fortschritt und Komfort geschaffen. Doch auch dreißig Jahre später sind beide Häuser noch sehr überholungsbedürftig. 

Aber zurück im September 1989:
Ich kam in die nahegelegene Schule, wie auch meine Schwester. Wir blühten beide auf. Jede auf ihre Art, aber die Veränderung war offensichtlich. Meine Schwester fand sehr schnell Freunde, in der Schule beliebt, im außerschulischen Leben aktiv. Ob Musikschule, Makramee, oder Kuscheltiere stopfen, sie war überall dabei. Auch zu Hause war immer was los. Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins, Großeltern. Immer gab es was zu besprechen, was zu tun. Die fast vier Jahre sind wie im Flug vergangen.

Es war auch die Zeit, in der sich viele Russlanddeutsche auf den Weg nach Deutschland machten. Aus den umliegenden Dörfern kamen viele weit entfernte Verwandte meiner Mutter, um den Zwischenstopp bis nach Moskau bei uns zu machen. So kam es häufig vor, dass mitten in der Nacht ans Fenster geklopft wurde und für uns wildfremde Menschen vor der Tür standen. Für uns Kinder war es natürlich spannend, für meine Mutter wohl eher stressig.

In Russland brach eine sehr ungewisse Zeit an. Der Umbruch war nicht mehr aufzuhalten, die Unsicherheit wuchs. Mein Vater suchte neben der regelmäßigen Arbeit nach Möglichkeit, nebenher noch was dazu zu verdienen. Zum einen, weil die Arbeit in einem staatlichen Betrieb nicht mehr sicher schien, zum anderen, weil natürlich Geld immer wichtig ist. 

Wer mehr Geld verdienen wollte, geriet gleich in Gefahr, denn Neider gab es viele. Also galt es, nicht sonderlich aufzufallen, und doch gut zu leben. Es war beinahe unmöglich. Die Lage spitzte sich immer weiter zu. Als dann ein Bruder meines Vaters, der bis 1992 an der Baikal-Amur-Magistrale, beschloss ebenfalls in unsere Stadt über zu siedeln, kam er vorerst, um ein Haus für die Familie zu kaufen und die dann ebenfalls zu holen.

Das Angesparte hätte für ein nagelneues Auto und ein neues Haus, in einer guten Wohngegend gereicht. Da er nicht besonders entscheidungsfreudig war und sich nicht sicher war, ob die Großstadt was für seine Familie wäre, kaufte er sich erstmal ein Auto. Eine Woche später, passierte dann das, womit niemand gerechnet hat – die Hyperinflation. Es hieß, das Angesparte meines Onkels reichte da gerade mal für einen Wohnzimmerschrank. Das zwang sehr viele in Knie! Mein Onkel fand eine Anstellung in einem weit entfernten Dorf. Er bekam eine Dienstwohnung, bzw. ein Haus, was sich als die beste Lösung rausstellte, denn Stadtmenschen sind er und seine Frau nicht.

Für die Familie einer Schwester meines Vaters war die Inflation aber eher ein Segen. Denn kurz vorher haben sie eine Hypothek für ein Haus aufgenommen. Über Nacht mussten sie dann eine lächerliche Summe zurückzahlen und waren stolze Hausbesitzer ohne Belastung. Ob es unsere Familie irgendwie traf, kann ich mich nicht erinnern. Aber ich glaube, da meine Eltern nie wirklich sparsam waren, und eher im Hier und Jetzt gelebt haben, war es nicht ganz so dramatisch. 

Unser Alltag ging weiter, wir gingen in die Schule, verbrachen die freie Zeit mit unserer Familie. Es fühlte sich normal an, fast normal! Gerade Kinder spüren, wenn etwas nicht ganz so normal ist. Mein Vater war sehr viel unterwegs, hat gearbeitet, hat versucht in diesen unruhigen Zeiten Geld zu verdienen. Es waren sehr gefährliche Zeiten, vor allem für die, die was erreichen wollten. Das war die Geburtsstunde der berühmten „neuen Russen“. 

…Fortsetzung folgt

Genießt den Moment

Natalja

Schreibe einen Kommentar